14 février 2010

To Those Who Follow in Our Wake / An die Nachgeborenen

I

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: Ich verdiene nur noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)

Man sagt mir: Iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdursteten fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

II

In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legte ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

III

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir doch:
Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

I
Truly, I live in dark times!
An artless word is foolish. A smooth forehead
Points to insensitivity. He who laughs
Has not yet received
The terrible news.

What times are these, in which
A conversation about trees is almost a crime
For in doing so we maintain our silence about so much wrongdoing!
And he who walks quietly across the street,
Passes out of the reach of his friends
Who are in danger?

It is true: I work for a living
But, believe me, that is a coincidence. Nothing
That I do gives me the right to eat my fill.
By chance I have been spared. (If my luck does not hold, I am lost.)

They tell me: eat and drink. Be glad to be among the haves!
But how can I eat and drink
When I take what I eat from the starving
And those who thirst do not have my glass of water?
And yet I eat and drink.

I would happily be wise.
The old books teach us what wisdom is:
To retreat from the strife of the world
To live out the brief time that is your lot
Without fear
To make your way without violence
To repay evil with good –
The wise do not seek to satisfy their desires,
But to forget them.
But I cannot heed this:
Truly I live in dark times!

II

I came into the cities in a time of disorder
As hunger reigned.
I came among men in a time of turmoil
And I rose up with them.
And so passed
The time given to me on earth.

I ate my food between slaughters.
I laid down to sleep among murderers.
I tended to love with abandon.
I looked upon nature with impatience.
And so passed
The time given to me on earth.

In my time streets led into a swamp.
My language betrayed me to the slaughterer.
There was little I could do. But without me
The rulers sat more securely, or so I hoped.
And so passed
The time given to me on earth.

The powers were so limited. The goal
Lay far in the distance
It could clearly be seen although even I
Could hardly hope to reach it.
And so passed
The time given to me on earth.

III

You, who shall resurface following the flood
In which we have perished,
Contemplate –
When you speak of our weaknesses,
Also the dark time
That you have escaped.

For we went forth, changing our country more frequently than our shoes
Through the class warfare, despairing
That there was only injustice and no outrage.

And yet we knew:
Even the hatred of squalor
Distorts one’s features.
Even anger against injustice
Makes the voice grow hoarse. We
Who wished to lay the foundation for gentleness
Could not ourselves be gentle.

But you, when at last the time comes
That man can aid his fellow man,
Should think upon us
With leniency.

–Bertolt Brecht, An die Nachgeborenen first published in Svendborger Gedichte (1939) in: Gesammelte Werke, vol. 4, pp. 722-25 (1967)(translation by Scott Horton, available here [via The Hat])